Die Radioreparatur 1946
   Wie man sich damals zu helfen wußte!
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Die häufigsten Beanstandungen waren: Unser Radio spielt nicht
mehr,es brummt,es ist so leise.Die Diagnose war meist einfach. Mit neuen
Röhren, Elektrolytkondensatoren und einigen anderen Einzelteilen wäre
leicht abzuhelfen gewesen. Aber die gab es nicht. Dafür hatten Techniker
aller Ausbildungsgrade sehr viel Zeit. Und Ideen. Einige davon spezialisierten
sich auf hoffnungslose Fälle, die schon von einer Werkstatt in die andere
gewandert waren. Starkes Brummen verbunden mit niedriger Anodenspannung
rührte stets von ausgetrockneten oder korrodierten Elektrolytkondensatoren
her. Der Versuch, sie mit Wasser wieder betriebsfähig zu machen, scheiterte
allerdings. Dafür gab es einen anderen Weg. Den Becherrand ganz vorsichtig
aufbördeln, eine Fahne an der negativen Folie anschneiden und am
Bördelrand einklemmen, wieder zubördeln. Das dauerte weniger als
eine Stunde. Durchgebrannte Gleichrichterröhren wurden durch
Selengleichrichter ersetzt, -wenn man hatte. Aus Wehrmachtsbeständen gab
es lange Säulen, die zerlegt und in passender Größe
zusammengesetzt wurden, denn man durfte nicht eine Platte, die zuviel gewesen
wäre, verschwenden. Manchmal mußte auch eine dicke
Dezimetersenderöhre für solch einen profanen Zweck
herhalten.
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Daß durchgebrannte Transformatoren neu gewickelt wurden, ist
selbstverständlich. Zusatzwindungen für höhere Heizspannungen
wurden aufgebracht ohne den Transformator erst auszubauen. Schwierig
war immer der Ersatz von Röhren. Der einfachste Weg: Die Schaltung
verkürzen. So wurde aus manchen stolzen 5-Röhren-Super ein 2-oder
sogar 1-Röhren-Einkreiser. Hauptsache, er "spielte". Die berühmte
Röhre RV 12 P 2000, aus Wehrmachtsresten immer mal greifbar, war universell
verwendbar, wenn man die erforderliche 12 V Heizspannung erzeugen konnte. Es
wurden sogar Zwischensockel gebaut mit einer Fassung für eine solche
Röhre und einem Fuß für Außenkontakt- oder
Stahlröhrenfassung. Daran hing ein kleiner Spartransformator, der die
Heizspannung von 4 V bzw. 6 V auf 12 V brachte. Die M 42 Kerne dazu, mit
hochwertigem Siliziumeisen lieferten "im Walde gefundene"
Trägerfrequenzgeräte. Wickeldraht wurde aus allem gewonnen, was sich
abwickeln ließ. Selbstverständlich wurde auch jeder Tropfen Lötzinn gesammelt, der
irgendwo anfiel. Kolophonium fand sich bei einem Geigenspieler. Zerbrochene
Hochfrequenzeisenkerne, damals noch mit Polystyrol gebunden, wurde aufgelöst
und neugeformt.
Glücklich derjenige, der eine Schaltungssammlung hatte, wie
die Kartei von E.Schwandt. Ohne solche Unterlagen war es aussichtslos, in den
Aufbau mancher Geräte eindringen zu wollen. Es gab häufig, um
Röhren zu sparen, sogenannte Reflexschaltungen, bei denen die selbe
Röhre für die Hf-und die Nf-Verstärkung
zugleich herangezogen wurde. Wenn weder die Zwischenfrequenz noch die
Größe der Reihenkondensatoren im Oszillatorkreis bekannt
waren, mußte praktisch neu entwickelt werden. Gerade aber diese Kondensatoren
waren aber meist ersatzbedürftig. Sie bestanden nämlich aus
Glimmerblättern mit beidseitigem Silberbelag, der im Laufe der Zeit oxidiert
oder ganz verschwunden war. Wenn nicht keramische Kondensatoren zur
Verfügung standen, aus denen sich eine passende Kapazität zusammensetzen
ließ, wurden Folien auf die Glimmerblättchen gepreßt und
die nötigen Kapazitäten hergestellt. Entsprechend mußte man
bei den sogenannten Quetschtrimmern verfahren. Das waren einstellbare
Kondensatoren, bei denen ein federndes Blech mit einer Schraube auf ein
Glimmerblatt gedrückt wurde, hinter dem sich der andere Belag
befand, häufig auf keramischer Unterlage aufgesilbert und im Laufe der
Zeit vollständig vergangen. Rotor und Stator von Drehkondensatoren
waren oft so fest ineinander verklemmt, daß keine Rettung möglich
war. Deshalb wurde versucht, Drehkondensatoren selbst zu bauen. Aber dafür
fehlte es nicht nur an den handwerklichen Möglichkeiten, sondern auch
an Material. Man beließ es dann lieber bei einer festen Einstellung
auf den Ortssender. Die Menschen waren damals recht anspruchslos. Und dankbar
wenn ihr geliebtes Radio wieder lief.
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(Von Dipl.-Ing. Wilhelm Hennig veröffentlicht in Funkschau 1975 Heft 12/303)
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